Von einem, der auszog, aus dem Alstertal zum Hamburger Hbf zu reisen…
Ich bringe meine Frau zum Hamburger Hbf zum Intercity. Als umweltbewusste Bürger nehmen wir die Öffis. Wir wohnen in der Nähe des Golfplatzes Treudelberg. Zuerst den Bus. Er fährt alle zwanzig Minuten und ist gerade weg. Der nächste kommt pünktlich.
Dann umsteigen in die S-Bahn. Man muss eine Treppe hinauf, dann eine wieder hinunter. Gut für die Fitness, besonders bei 32 Grad und mit einer sperrigen Reisetasche. Meine Frau nickt mir aufmunternd zu. Von der Stirne heiß rinnen muss der Schweiß. Er rinnt nicht nur von der Stirne.
Dank kleiner Klappfenster gibt es im Zug einen leichten Lufthauch. Einen leichten…
Nach knapp 10 Minuten und vier Stationen Fahrt bleibt der Zug auf dem S-Bhf Ohlsdorf stehen. Eine Art Geisterstimme ertönt, sie scheint aus dem Jenseits zu kommen, schwer zu verstehen. Wir erfahren von unseren Sitz-Nachbarn, dass diese S-Bahn wohl defekt ist und wir auf einen Ersatz-Zug warten sollen. Alle stehen auf und verlassen den Zug. Die Sonne knallt auf den schattenlosen Bahnsteig.
Erstaunlich schnell ist der Ersatz-Zug da. Er füllt sich. Neben mir nimmt eine Frau Platz, die unter einem hartnäckigen Husten leidet. Der halbe Waggon hat was davon, wenn sich in ihren Bronchien die Bröckchen lösen. Ich besonders.
Nach weiteren 4 Stationen ertönt wieder eine Geisterstimme: „Strecke zum Hauptbahnhof wegen Polizei-Einsatz gesperrt!“ Das wird auch in einer anderen Sprache wiederholt. Ich ahne, dass es Englisch sein soll. Alles stöhnt auf. Ein kleines Männlein in rentner-beiger Weste sagt in breitestem Hamburgisch: „Aufregen bringt nix!“ „Klugscheißer“ murmelt einer.
Also umsteigen in die U-Bahn. Alles rennt. Treppab, treppab. Eine ausländische Familie mit drei kleinen Kindern hat kein Wort der Durchsagen verstanden, wir helfen Ihnen. Das Kleinste schreit, die beiden anderen halten sich an ihren Teddys fest. Die Frau mit Kopftuch lächelt tapfer, der Mann guckt immer panischer auf die Uhr.
Mit 45 Minuten Verspätung sind wir am HBF, dort stürmt alles aus der Bahn, direkt hinein in die Mauer der wartenden Massen auf dem S-Bahnsteig. Da braucht man Ellenbogen. Eine walkürige Mitt-Zwanzigerin – in einem wulst-engen T-Shirt und superknappen Shorts kurz vor der Zerreiß-Probe – bahnt uns den Weg. In ihrem Kielwasser schaffen wir es auf den rettenden Bahnsteig. Beim Fußball hätte sie eine rote Karte kassiert.
Sehenswerte Überfüllung auch am Gleis 14 der Deutschen Bahn. Einige Züge fallen aus, alle haben Verspätung. Je nach Temperament macht sich Wut Luft und Resignation breit. Ausländische Reisende irren ratlos umher, offensichtlich lost in translation. Als schließlich ein ICE einläuft, ist der Wettlauf sehenswert. Meine Frau schafft es an Bord, ihr weiteres Schicksal ist ungewiss.
Ich mache mich auf den Heimweg. Die S-Bahn-Strecke ist wieder frei, aber: “S-Bahn fährt zur Zeit unregelmäßig“ steht auf der Anzeigetafel.
Der Bahnsteig füllt sich. Nach 13 Minuten kommt eine Bahn. Leider mit Schild: „Bitte nicht einsteigen, Bahn fährt nur bis zu nächsten Station!“ Sehnsüchtig schaut man ihr beim Entschwinden zu. Auf dem Bahnsteig ist es inzwischen so voll, dass man Angst hat um die Leute an der Kante. Frankfurt kommt einem in den Sinn. Nach weiteren 8 Minuten hält eine Bahn und deren Türen gehen auf, Glück gehabt!
Gefühlt 3000 Fahrgäste zwängen sich hinein. Ich stehe eingequetscht zwischen drei halbwüchsigen Balkan-Machos, die sich über meinen Kopf hinweg anbrüllen. Die Sitzenden starren aufs Handy, die Stehenden täten’s vermutlich auch gern, aber wegen der Enge schaffen sie’s nicht. Dass sie nicht in Tränen ausbrechen, wundert mich. Nach acht Stationen eine Durchsage: „Hier alle aussteigen, der Zug muss umgeleitet werden, bitte warten Sie auf den nächsten. Er kommt in zirka zwei Minuten.“ Der Zug fährt leer weiter, vermutlich nach Nirgendwo.
Und wieder brennt die Sonne auf unsere Häupter. Kein Schatten, kein Dach. Das Thermometer neben der Uhr in der Sonne zeigt 46 Grad. Der Ersatz-Zug kommt nicht nach 2, sondern nach 12 Minuten. Wie durch ein Wunder geht die letzten Stationen lang alles glatt.
Nach dreieinhalb Stunden bin ich wieder zuhause.