Gespräch mit einem Antwort-Sucher

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Wir trafen Pohlmann, um mit dem Singer/Songwriter über sein neues
Album „falschgoldrichtig“ zu sprechen. Es ist so wortgewaltig und poetisch wie die davor auch. In den Songs geht es um das Leben. Mit all seinen Spannungsfeldern, die uns in Atem halten.

Alster-Aktuell: Du veröffentlichst jetzt dein fünftes Studioalbum. Und das in Zeiten, die gesellschaftlich und politisch hochbrisant sind – ist es dir aus diesem Grund diesmal leichter gefallen, die Songs zu schreiben?
Pohlmann: Ja. Allerdings sind auf dem Album Songs der vergangenen drei Jahre, zumal ich gut zwei Jahre lang an einem Album schreibe. Dass der Song „Besonnen“ so gut zu Corona passt, ist Zufall, denn das gab es damals noch gar nicht.

Worum geht es?
Es geht um die Spaltung der Gesellschaft, vor allem aber um die Spalter, die versuchen Lunten anzuzünden. Das Thema war auch schon vor zwei Jahren aktuell.

Welche Lunten hast du damals gesehen?
Einen immer stärker werdenden Rechtsruck. (Pause) Ich habe vor längerer Zeit einen kleinen Spielzeug-Plastiksoldaten im Sand gefunden. Der hatte kein Gewehr, sondern nur ein Fernglas in der Hand. Ich habe mich gefragt, was mir das jetzt sagen soll und ein langes Pamphlet geschrieben. Meine Freundin meinte, das versteht kein Mensch. (lacht) Es ist gut, manchmal als Künstler mit vertrauenswürdigen Menschen zusammenzuarbeiten, sonst würde man einfach alles raushauen. Vorheriges Nachdenken ist gerade bei hochbrisanten und politischen Themen wichtig. Die Message war schön und ich werde sie noch mal als Song bringen.

Wie hast du den Soldaten mit dem Fernglas interpretiert?
Der Soldat ist auf dem Weg nach Hause und hat keine Waffe mehr. Er hat den Krieg hinter sich. Und genau das ist die Aufgabe, die wir Menschen jetzt haben: aus dem Krieg zurückkommen, den wir noch nicht geführt haben. Aber da wird es hinführen, wenn wir so weitermachen. Menschen sind immer gerne in den Krieg gezogen und haben mit 19 Jahren jubelnd in den Zügen gesessen, weil sie heiß gemacht wurden. Und das Heißmachen passiert gerade überall. Ich habe Angst davor, dass wieder neue Energie und Lust für Kriege da ist.

Beim Video zu deinem neuen Song Glashaus ist auch ein Soldat zu sehen, ist er das?
Nein, leider nicht, denn ich finde ihn nicht wieder … zum Glück habe ich Fotos von ihm gemacht.

War er gelb oder grün? Ich hatte als Jugendlicher beide Farben und muss gestehen, dass ich viel mit ihnen gespielt habe.
Er war grün, glaub ich. Ich habe auch mit Plastiksoldaten gespielt, es war damals die Zeit. (überlegt) Sagen wir mal so, ich würde heute auch noch Paintball spielen, das macht Spaß. Habe ich vor gut fünf Jahren zuletzt gemacht und mich kaputtgelacht damals. Dabei bin ich Pazifist und lehne Gewalt ab.

Apropos Gewalt. Im Song Glashaus geht es ja um Steine werfen …
Interessanter Aspekt …

… ja, allerdings stehen die Steine für mich nicht für Gewalt, sondern sind Synonym für die Päckchen, die wir alle tragen. Wie hast du es gemeint?
Es ist genau das, es gibt verschiedene Steine und sie sind interpretierbar. Ich hatte anfangs etwas Skrupel, denn natürlich könnte man einige Songpassagen als Aufruf zur Gewalt interpretieren.

Hatten Spaß beim Schnacken über Spalter und Soldaten aus Plastik: Singer/Songwriter Ingo Pohlmann und Chefredakteur Kai Wehl.

Ein Stein ist aber benzingetränkt …
Eines meiner Probleme ist das Bewusstsein, dass wir Teil der Zerstörung dieser Welt sind. Jeder von uns, denn wir alle kommen nicht um Konsum herum. Der Song ist konsumkritisch und beschreibt gleichzeitig die Schwierigkeiten derer, die sich verstärkt ökologisch ausrichten wollen. Das mache ich auch, seit gut sechs Jahren. Kürzlich war ich auf Malle und habe den Flug zwar kompensiert, aber natürlich trotzdem CO2 verbraucht. Man versucht asketischer zu leben, verlangt viel von sich ab, bleibt aber trotzdem Teil der Zerstörung. Ich suche seit längerem ein Auto und weiß, egal wie ich mich entscheide, es wird einen CO2-Rucksack haben. Also sitze ich quasi in einem Glashaus, denn ich weiß jetzt schon, dass Leute dann sagen, du spielst Moralapostel und machst es auch falsch. Richtig, aber ich darf mich nicht von einem Stein aus Benzin zum Schweigen bringen lassen. Denn es wäre fatal, Dinge nicht mehr anzusprechen, nur weil man selber etwas Dreck am Stecken hat. Dann könnte so gut wie keiner mehr etwas sagen und das wäre schlecht.

HIER geht es zum sehenswerten Video und hörenswerten Song Glashaus aus dem neuen Album „falschgoldrichtig”

Was bedeutet der Titel „falschgoldrichtig“?
Wir geraten in eine Welt, in der bei vielen Dingen immer extremere Maßstäbe angesetzt werden. Eine Welt, in der Leute wie Trump und Konsorten mit Falschaussagen Lunten legen, Gesellschaften spalten und mit dem Feuer spielen. Plötzlich werden Dinge in Frage gestellt, sogar die Verfassung, die lange als unantastbar galt. Zum Glück läuft es bei der jetzigen Regierung noch für alle relativ fair und man kann sagen, was man denkt. Aber was ist, wenn etwa die durch Lobbyisten vertretene Wirtschaft noch mehr Einfluss gewinnt und plötzlich demonstrierende Ökos genauer unter die Lupe genommen werden. Oder es geraten andere Personengruppen und Teile der Gesellschaft auf den Kieker der später Regierenden. Mit Pech ist man plötzlich selbst dabei. Da könnte wirklich ein Problem auf uns zukommen.

Wenn du den Wunsch frei hättest, dass einer deiner Songs ganz oft im Radio gespielt wird, welcher sollte es sein?
„Glashaus“, denn es ist wichtig, sich mit der Ambivalenz des richtigen Handelns im Hinblick auf die Zerstörung der Welt zu befassen. Der Song hat eine gute Message. Kai Wehl

TIPP & VERLOSUNG:

Pohlmann veröffentlicht am 11.09. sein neues Album „falschgoldrichtig“ bei BMG Music (CD 16€, Vinyl 26€) – ein eindringliches und sehr persönliches Album mit elf Songs. Wir verlosen 3 Stück. Wer eines gewinnen möchte der sendet bis zum 20. September eine E-Mail mit dem Stichwort Pohlmann an: k.wehl@alster-net.de

Aufmacherfoto: © Benedikt Schnermann