Verhunzen wir unsere Sprache?

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Oder: Demokratie heißt eben, allen gerecht zu werden.
Auch mit der Sprache. Ein spannendes Gespräch – auch als Podcast!

Gender-Sprache erregt die Gemüter. Sie ist für viele neu, ungewohnt – und für manche übertrieben. Wie also sollten wir damit umgehen? ALSTER-MAGAZIN-Herausgeber Wolfgang E. Buss führte dazu ein Gespräch mit zwei Persönlichkeiten der Stadt, die unterschiedliche Positionen – in ebenfalls sehr unterschiedlichen Parteien – zu diesem Thema vertreten. Zum einen Dr. Christoph Ploß, MdB und neuer CDU-Chef Hamburg und Farid Müller, Mitbegründer der Hamburger Ehe für Lesben und Schwule sowie queer- und medienpolitischer Sprecher der Grünen Bürgerschaftsfraktion. 

Was zum Beispiel ist die richtige Ansprache, „Liebe Bürgerinnen und Bürger?“ Dazu Farid Müller: „Weibliche und männliche Formen zu begrüßen ist heute gang und gebe. Aber: Der aktuelle Stand ist eigentlich, dass wir mit ‚Bürger*innen‘ begrüßen.“ Das Bundesverfassungsgericht hat so geurteilt, dass im Personenstandsrecht auch das „dritte Geschlecht“ berücksichtigt werden muss. Wie das „Gendersternchen“ genau mitzusprechen ist – ob mit einer minimalen Pause – können wir von Farid Müller lernen. Christoph Ploß hat mit „Mitbürgerinnen und Mitbürgern“ auch kein Problem. Aber, so seine Sorge, es darf nicht ausarten und die deutsche eigene Sprache nicht unkenntlich machen. Er will „keine Sondersprache für spezielle Milieus. Ärzt_Innen geht irgendwie nicht.“

Es diskutieren: Zum einen Dr. Christoph Ploß, MdB und neuer CDU-Chef Hamburg (li.) und Farid Müller, Mitbegründer der Hamburger Ehe für Lesben und Schwule sowie queer- und medienpolitischer Sprecher der Grünen Bürgerschaftsfraktion. Das Gespräch leitet Wolfgang E. Buss (Mitte)

„Sprache soll nicht trennen – statt zusammenführen,“ da bin ich mit Ploß einig, so Müller. „Sprache entwickelt sich weiter und muss sich weiterentwickeln. Vor 50 Jahre waren ‚schwul und lesbisch‘ noch Schimpfworte“, so Müller. Und was bedeutet das ‚dritte Geschlecht‘ für unsere Sprache, und: wie kann man es der Mehrheitsgesellschaft vermitteln? „Staatliche Stellen etwa sprechen ihre Bürgerinnen und Bürger in Formularen deutlich formeller an, als wir es im Alltag tun, so Müller.“

„Die Menschen im Alltag haben aktuell allerdings andere Probleme – zum Beispiel die Bewältigung der Corona-Krise – als sich mit sprachlicher Geschlechterneutralität zu befassen. Freiheit in der Sprache ja, aber eben nicht angeordnet – wie in manch rot-grünen Städten,“ kontert Ploß. Dazu Müller: „Wir als Volksvertreter sind aber in der Verantwortung, die Urteile aus Karlsruhe umzusetzen – wenn es den Menschen da draußen auch sperrig vorkommen mag. Du wirfst den eher linkeren Parteien das als Weltanschauung vor, aber das dritte Geschlecht ist Tatsache – und keine Weltanschauung. Und wenn der Staat sich an seine Bürgerinnen und Bürger wendet, wenn es also um Service geht, ist es ist das eine, wenn wir untereinander und miteinander sprechen, das andere.“

Und die Behördensprache ist keineswegs einheitlich. Die eine Behörde löst das Thema mit dem Gendersterchnen (Ärzt*innen), die andere mit dem Unterstrich und einem Sender „I“ (Ärzt_Innen), wie in Hannover beispielsweise. „Aber“, wendet Ploß ein, „es gibt kein Verfassungsgerichtsurteil, das eine bestimmte Sprache vorschreibt! Über fünf Seiten wird im Hamburger rot-grünen Koalitionsvertrag über Genderthemen diskutiert – aber nur vier Seiten über den Tourismusstandort Hamburg. Das verstehen vielen Menschen da draußen nicht“. „Ganz so ist es nicht“, erwidert Müller, „ich muss es wissen, denn ich habe diese Teile selbst mit verhandelt.“

Ploß: „Ich erlebe vielfach im Wahlkreis, dass die Menschen diese Sprache nicht wollen. Gleichberechtigung ja, aber eine Gendersprache wollen die Menschen einfach nicht.“ Müller wirft Ploß daher vor, die Angleichung der Amtssprache oder andere Schritte in Richtung Geschlechtergerechtigkeit nur dann zu gehen, wenn ihn die Gerichte dazu zwingen.

Werden wir bald erleben, dass sogar das ‚dritte Geschlecht‘ – wie bereits in Stellenanzeigen ‚w/m/d‘ – in unsere Alltagssprache einfließt, also „Sehr geehrte Damen und Herren, sehr geehrte Diverse?“

Und wie wird es bei den Toiletten? Bei der Toiletten-Bezeichnung hatten die Grünen im Rathaus während ihres Partei-Empfangs einige Toiletten als „DIVERS“, also speziell für das dritte Geschlecht, umbenannt. Doch diese Entwicklung sieht Farid Müller eher gelassener. „Ich denke eher, dass wir – wie in Frankreich – neutrale Toiletten bekommen werden. Also eine Toilette für alle, den pragmatischen Weg.“

Doch nicht nur in der Sprache soll sich Geschlechtergerechtigkeit abbilden, vielmehr und deutlicher auch in anderen gesellschaftlichen Ebenen. Zum Beispiel bei den Jobs. Die ‚Frauenquote‘ steht als Synonym für die unterschiedlichen Positionen, sich der Gleichstellung zu nähern. Ploß allerdings hat sich in seiner Partei gegen eine Frauenquote ausgesprochen. Warum? „In einer Demokratie sollten die besten Leute in die jeweiligen besten Positionen gelangen, und nicht Menschen wegen bestimmter äußerer Faktoren! Also weil sie Männer, Frauen, jung oder alt sind oder einen  Migrationshintergrund haben. Ich möchte – zum Beispiel bei der Kandidatenwahl in Parteien – keinen wegen bestimmter äußerer Faktoren ausschließen,“ so Ploß. Doch die Wahrheit bildet aktuell etwas anderes ab. So sind in den Vorständen deutscher DAX-Konzerne kaum Frauen zu finden. Sie sind reine Männerdomänen. Muss deshalb politisch nachgeholfen werden? „Es hat doch Gründe, warum in Parteien oder Unternehmen – die CDU-Fraktion im Hamburger Rathaus hat nur drei Frauen – diese deutlich unterrepräsentiert sind. Obwohl wir seit Jahrzehnten Gleichstellung in den Gesetzen haben.“ Um dem zu begegnen, will Ploß die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen ändern – statt eine Quotenregelung einzuführen. „Aber es ändert sich doch nichts, obwohl genau das schon lange gefordert wird,“ widerspricht Müller. „Wir Grüne leben die Quote in der Partei, und bei uns hat genau das deutlich die Rolle der Frauen in der Partei verbessert,“ so Müller. Für die Wahlkreise sieht Ploß durch die Quote in der Partei keine Vorteile, dabei bleibt er. Mehr noch: Er sieht die Quote sogar als „diskriminierend an“, wenn bestimmte Personen eben wegen einer Quote gar erst nicht gewählt werden können. Wenn zum Beispiel bereits eine Quotenfrau oder ein Quotenmann eine Stelle besetzt haben. „Gemäß unserem Grundgesetz,“ so Ploß weiter, „muss es für alle die Möglichkeit geben, egal welchen Geschlechts, kandidieren zu können. Alle anderen Regelungen würde das Verfassungsgericht kippen.“ Doch Müller kritisiert: „Die Besetzung der Ämter und Mandate in der CDU zeigt doch, das die Gleichstellung nicht funktioniert.“ Erneut kontert Ploß: „Es geht mir nicht um Gleichstellung – sondern um Gleichberechtigung. Also um Chancengleichheit.“ „Dann scheint es diese in der CDU aber nicht zu geben,“ gibt Müller zurück. Feste Quoten sind für Ploß, das macht er deutlich, planwirtschaftliches Denken. Er will aber den Wettbewerb.

Die Unterschiede in den politischen Positionen lassen sich in diesem Gespräch noch nicht überwinden. Doch bei aller Unterschiedlichkeit kann es nötig werden, beide Positionen anzunähern. Wann? In einer möglichen schwarz-grünen Koalition im Bundestag nach der Bundestagswahl im Herbst 2021. Die Option einer schwarz-grünen Mehrheit halten viele Beobachter für durchaus denkbar. Übrigens haben wir Hamburger Erfahrungen mit dieser Koalition. Im April 2008 formierte Deutschlands erste schwarz-grüne Landesregierung und besiegelte den Koalitionsvertrag nach fünf Wochen Verhandlung. Die allerdings scheiterte, also Ole von Beust zurücktrat.

Wolfgang E. Buss äußert in diesem Gespräch Zuversicht für so eine Option. „Zukunft gibt es nur, wenn Ökologie und Ökonomie zusammen gedacht werden. Das ist wie Sommer und Winter – beide gehören zusammen!“

Das ganze Gespräch ist als Podcast zu hören (siehe unten). Es macht irgendwie Mut zu erleben, dass man über unterschiedliche Positionen gemeinsam reden kann. Ganz anders als es Trump und Biden in ihrem unsäglichen „Wahl-Talk“ vorgemacht haben.

Begrüßungen , Wortungetüme und Verballhornungen der Gender-Sprache.
Sinnvoll fair, albern oder Unsinn?

„Liebe Mitgliederinnen und Mitglieder!“

 „Liebe Gästinnen und Gäste!“

– Kinderinnen und Kinder –

– Spatzinnen und Spatzen –

– Feldwebelinnen und Feldwebel –

– Menschinnen und Menschen –

– Christ*innentum – statt Christentum –

Zu Fuß Gehende – statt Fußgänger

ProfessX – statt Professor/in

Studierendenheim – statt Studentenheim

Idiot*innen – statt Idioten