„Unser Mindset muss sich ändern!“

0
781

Friedrich Merz, CDU-Kandidat für die Parteiführung und potentieller Kanzlerkandidat für die Nach-Merkel-Ära, stellte sich vor Kurzem im Hotel Grand Elysée seinen Parteifreunden und ausgesuchten Gästen vor. Hamburgs neuer Parteichef Christoph Ploß hatte ihn eingeladen. Bis zuletzt war nicht klar, ob diese „Präsenzveranstaltung“ wegen der erlassenen Corona-Regeln überhaupt stattfinden könne. 

Merz gilt als Konservativer in der CDU. Doch davon war kaum etwas zu spüren. Ein aufgeräumter Denker mit eben sehr fortschrittlichen Thesen stellte sich dem Publikum. Er formuliert zu fast allen relevanten Themen Forderungen, die teils nicht ganz neu sind, allerdings den Stillstand in diesem Land deutlich kritisieren. „Wir brauchen einen konsequenten Neustart, denn wir stehen vor einer Zeitenwende.“ Das ist das Gegenteil von „weiter so“ und „die Merkel-Regierung hat es eigentlich ganz gut gemacht“. Dieses Lippenbekenntnis ist zwar vordergründig zu hören, dahinter allerdings steht: „Wir müssen unser Mindset ändern,“ oder anders ausgedrückt: So geht es nicht mehr weiter!

Europa ist ein großes Thema für Merz, ebenso für seinen Gastgeber Christoph Ploß, aber eben ein anderes Europa. Der Verlust Großbritanniens zeige, wie marode die europäischen Bindungskräfte in Wahrheit seien. Eine deutliche Kritik am Merkel-Kurs. Die Digitalisierung ist sündhaft vernachlässigt worden. Hier sind wir – auch was die digitale Bildung angehe – quasi Drittweltland. Und das Thema CO2-Reduktion will er – völlig anders als große gesellschaftlich Gruppen –  nicht über einen links-grün-politischen Systemwechsel, sondern über modernste Technologien und Wissenschaft. Eine deutliche Kritik am Merkel-Schmusekurs mit den Grünen. 

Der Abend ist geprägt von klarer Kritik am Kurs der chinesischen Führung, sowie der wichtigen Erhaltung liberal-demokratischer Strukturen bei uns. Auch Europa, dass anders als bisher, stets alle unterschiedlichsten 28 Mitglieder für Entscheidungen braucht, muss sich ändern. Es müssten Deutschland und Frankreich vorangehen, weil die Briten aussteigen, die vielen kleinen EU-Mitgliedstaaten werden dann folgen. Ein klar anderer Kurs als bisher. „Auf uns Deutsche kommt eine neue Verantwortung zu“, ist immer wieder zu hören, „denn Deutschland liegt in der Mitte Europas. Und damit auch die Verantwortung der CDU!“ Das transatlantische Verhältnis ist Thema und eine gescheiterte Russlandpolitik, die nach der Wende mit einer Rede Putins im Deutschen Bundestag hoffnungsvoll begann, dann aber scheiterte, weil Deutschland wie die EU sich nicht an die Abmachungen hielten. Auch hier Kritik am Kanzlerinnen-Kurs. Zusammengefasst: Friedrich Merz – der konservative Erneuerer!

Als verwirrend bleibt die Erinnerung, dass sich Merz schon einmal den CDU-Deligierten gestellt hat, diese allerdings ihren wohl größten Fehlgriff der letzten Jahre machten: Sie wählten Annegret Kramp-Karrenbauer, die schon wenig später scheiterte. Was zu diesem Irrtum führte, kann mir bis heute kein CDU-Vertreter wirklich beantworten. Ob es Merz nun schafft? Ploss steht hinter ihm, aber lange nicht die gesamte CDU. Da sind auch noch Freunde von Armin Laschet und Norbert Röttgen. 

Am 4. Dezember sollte dazu die Entscheidung fallen, beim CDU-Parteitag. Der wurde inzwischen abgesagt. Und diese Absage löste prompt Streit aus. Der Vorschlag von Merz, den Parteitag fortschrittlich und digital stattfinden zu lassen, wurde dann zunächst fallen gelassen. Merz selbst sah darin Nachteile für die Partei, die müsse sich zügig auf einen schwierigen Wahlkampf gegen Rot-Rot-Grün vorbereiten und sich nicht mit parteiinternen Querelen verschleißen. Das half. Nun, so wird angekündigt, soll doch eine digitale Parteitag Mitte Januar 2021 stattfinden.

Und tatsächlich wird in Hintergrundgesprächen mit führenden CDU-Mitgliedern bestätigt, dass ein “Merkel-Lager”, sowie breite Kreise im Bundeskanzleramt, – Merz nennt sie das “Establishment” – einen Merz-Kurs nicht will. Zu groß ist die Sorge, dass ein “Erneuerer” das Erbe der Merkel-Ära wesentlich kritischer sehen wird – wie oben schon beschrieben – als der bisherige “Merkel-Wahlverein”. Deshalb sollten die mahnenden Stimmen lauter werden, um die parteiinternen Querelen zu beenden. Denn: Für die gesamte Union droht ein Desaster. Eine Mehrheit für Rot-Rot-Grün, und damit Berliner Verhältnisse für Gesamtdeutschland. Das Beispiel der Katastrophe um den Berliner Flughafen wollen viele nicht auf die Republik übertragen wissen.

Hatte Friedrich Merz in die Hansestadt geladen: Hamburgs neuer CDU-Chef Cristoph Ploß. © Melanie Gibbat
Das Grand Elysée im Corona-Modus. Abstand halten bei Merz-Besuch.

Aufmacherfoto: Friedrich Merz in Rotherbaum. © Melanie Gibbat