Die Hamburger Schauspielerin Sandra Quadflieg hat zum dritten Mal einen Briefwechsel vertont. Diesmal zusammen mit Iris Berben einen zwischen den beiden Schriftstellerinnen Christa Wolf und Sarah Kirsch – zwei „Kinder der DDR“, von denen eines in den Westen gegangen ist. Wir wollten wissen warum diesen und was sie daran so faszinierend findet, dass sie ihn mit dem Titel „Wir haben uns wirklich an allerhand gewöhnt“ vertont hat.
Um welche Themen geht es hauptsächlich zwischen den beiden und welche davon sind auch heute noch brandaktuell?
Es geht um zwei starke Autorinnen, zwei politische Systeme, eine innige Freundschaft. Die FAZ schrieb: „Ein bewegendes Dokument deutscher Dichtung und deutscher Teilung.”
Zwei Autorinnen von internationalem Rang sind fast drei Jahrzehnte lang, von 1962 bis 1990, miteinander im Austausch: über das Schreiben, den Literaturbetrieb im Osten wie im Westen, über die Männer, die Kinder, die Arbeit im Garten und die politischen Systeme, in denen sie leben. Letztere sind es, die dieser Freundschaft ein Ende setzen, nach vielen Jahren des vertrauensvollen Miteinanders. Sarah Kirsch und Christa Wolf beim Schreiben und Leben zuzuhören ist ein Geschenk.
Der Briefwechsel ist bei Suhrkamp erschienen, was hat dich veranlasst ein Hörbuch daraus zu konzipieren?
Ihre Briefe sind Zeitdokumente, so wie dieses Hörbuch ein Zeitzeugnis ist. Es entstand während der Corona-Pandemie, mitten im Lockdown als die Welt still stand und alle in Ungewissheit lebten. Die Hashtags #Kulturerhalten #KulturIstSystemrelevant #Alarmstuferot überfluten aktuell die sozialen Medien. Ich fühlte mich wie auf einer Mondstation, isoliert von der restlichen Welt, nur mit Sarah und Christa allein an meinem Schreibtisch, deren Gedanken mich so tief berühren.
Wir Künstler saugen Stimmungen auf und sie inspirieren uns in unserem kreativen Schaffen. So beeinflusste mich – wie alle anderen auch – Corona. Die ganze Welt spielt verrückt und man kann noch nicht einmal mehr auswandern, dachte ich, also flüchten wir uns in die Hörbuch-Welt. Ich wurde vor längerer Zeit auf eine Besprechung im Tagesspiegel aufmerksam: Der erstmals veröffentlichte Briefwechsel zwischen Sarah Kirsch und Christa Wolf. Ich war begeistert von ihrem intensiven Austausch und schlug meinem Verlag Random House Audio das Thema für meine kulturelle Hörbuch-Reihe vor. Mein Verlag fand die Idee großartig.
Warum diesmal Iris Berben?
Als ich den Briefwechsel das erste Mal las, dachte ich sofort an Iris Berben und sie ging mir nicht mehr aus dem Kopf. Sie ist für mein Hörbuch die perfekte Christa Wolf und es machte mich sehr glücklich, dass sie sofort zusagte. Es war mir übrigens bei jedem meiner Hörbücher sofort klar, mit wem ich den jeweiligen Briefwechsel einsprechen wollte, auch bei Katharina Thalbach, Ulrich Tukur und Otto Sander. Und ich bin sehr dankbar, dass ich sie mit meiner Begeisterung anstecken konnte und sie bereit waren, mich auf der Reise in die Gedankenwelt dieser großen Dichter und Denker zu begleiten.
Was ganz anderes, das Hörbuch ist am Weltfrauentag erschienen. Dessen Sinn und Zweck im 21. Jahrhundert ist auch unter Frauen umstritten … warum gerade zum Weltfrauentag und brauchen wir diesen Tag überhaupt noch?
Seit mehr als 100 Jahren gibt es den Weltfrauentag und so lange noch keine weltweite Gleichberechtigung zwischen Männern und Frauen herrscht oder es Diskriminierung gegen Frauen gibt, muss darauf aufmerksam gemacht werden –natürlich nicht nur am 8. März, sondern jeden Tag!
Für meinen Verlag stand sofort fest, dass mein Hörbuch zum Weltfrauentag erscheinen muss, denn Christa Wolf und Sarah Kirsch waren starke Frauen und ihrer Zeit voraus. Und Iris Berben und ich setzen uns seit Jahren für Frauenrechte ein. Ich bin beispielsweise Repräsentantin von Women in Film and Television (WIFT). Hier sind mehr als 13.000 Frauen in 40 Ländern vernetzt. Auch viele prominente Mitglieder wie bespielweise Meryl Streep sind hier aktiv. Es geht um Vernetzung, aber auch um politische Arbeit mit Forderungen wie beispielsweise Equal Pay. Ich persönlich finde es absolut antiquiert, dass wir uns in der heutigen Zeit überhaupt noch über Equal Pay unterhalten müssen. Es sollte eine Selbstverständlichkeit sein, dass Männer und Frauen für die gleiche Tätigkeit auch die gleiche Bezahlung bekommen!
Wenn du eine der beiden Frauen gewesen sein hättest können, welche und aus welchem Grund?
Ganz ehrlich? Ich liebe mein Leben, deshalb bin ich sehr gerne Sandra Quadflieg! Aber das Schöne an meinem Beruf ist es, in unterschiedliche Rollen schlüpfen zu dürfen, und das empfinde ich als großes Glück!
Da ich bei diesem Hörbuch wieder die Regie geführt habe, durfte ich mir selbst aussuchen, ob ich lieber Christa Wolf oder Sarah Kirsch sprechen möchte und mir war sofort klar, dass die Rolle der Sarah Kirsch besser zu mir passt. „Ich hatte verschiedene Leben“ sagte Sarah Kirsch einst in einem Interview. Ich glaube, dieser Satz erklärt es am besten.
Panta Rhei – alles fließt, alles ist im Werden, in unaufhörlicher Bewegung. Das Leben ist Veränderung und die Erfahrungen, die wir im Laufe unseres Lebens sammeln, führen dazu, dass wir uns verändern. Und das ist auch gut so, sonst gäbe es Stillstand. Aber nur, wer stets dazu lernt, erweitert seinen Horizont und hat dadurch sprichwörtlich “verschiedene Leben“. Das ist auch meine Philosophie.
Was ist für dich das Faszinierende an der anderen Person?
Das Faszinierende ist, dass beide Frauen zwei vollständig verschiedene Temperamente waren. Eine Haltung äußersten Rigorismus bei Sarah trifft auf den Wunsch nach Abwägen bei Christa. Zwei junge Lyrikerinnen, die gerade dabei sind mit dem Schreiben zu beginnen und sich gegenseitig inspirieren, unterstützen, Mut machen und sich offen über ihre Arbeit und Gefühlswelt austauschen. Zunächst herrschen Einklang und Sorge umeinander. Doch die völlig unterschiedliche Sichtweise auf die DDR – Christa Wolf arbeitete am Verfassungsentwurf für eine erneuerte DDR und Sarah trat dagegen für ein vereintes Deutschland ein, zerriss schließlich das Band zwischen ihnen.
Welcher der beiden kommt man näher?
Man kommt beiden Frauen ganz nah und erlebt sie auf eine Art und Weise, wie sie viele wohl noch nicht kannten. Zum Glück hat Christa Wolf den Rat ihres späten Freundes Günter Grass nicht befolgt: „Schreib keinen Brief / Brief kommt ins Archiv. / Wer den Brief schreibt, unterschreibt / was von ihm einst übrigbleibt.“ Nirgendwo erfahren wir so viel Authentisches aus dem Innenleben der DDR wie in ihren Briefen. „Wir haben uns wirklich an allerhand gewöhnt“, kommentiert Sarah Kirsch.
Das Lesen von Briefwechseln – und die gibt es ja in der Geschichte schon sehr lange – wäre in dem Fall ja ein wenig vergleichbar mit Reatity-TV von heute – also sind Briefwechsel deren Vorläufer, weil sie auch die Alltagswirklichkeit der Menschen zeigen. Schräg, oder?
Ein „interessanter“ Vergleich! Nun ja, natürlich erfahren wir durch ihre Briefe alles aus ihrer Alltagswirklichkeit und zwar die Wahrhaftige! Was bei Scripted Reality TV-Formaten natürlich nicht der Fall ist.
Im Vergleich zu den anderen beiden Hörbüchern, ist der Briefwechsel nicht ganz so alt, da er von 1962 bis 2010 reicht. Inwiefern macht sich das bemerkbar – im Vergleich zu denen von anderen?
Vor allem in der Sprache, die Art, wie sie formulieren und sich ausdrücken. Aber auch in ihrem alltäglichen Leben, sie lebten schon fast mit den heute üblichen Standards – natürlich war aber noch alles analog. Was mich allerdings wehmütig stimmt, ist, dass dieser Briefwechsel wohl auch zu einem der Letzten gehören wird, denn das Hörbuch geht inhaltlich bis ins Jahr 2010 und ich befürchte, dass es in Zukunft wenig neue Briefwechsel zwischen so interessanten Künstlern geben wird, aufgrund der Digitalisierung. Die großen Köpfe unserer Zeit schreiben keine Briefe mehr, sondern E-Mails, WhatsApps oder sie telefonieren, da wird es zukünftig schwierig sein eine über jahrzehntelange dokumentierte Korrespondenz zu finden. Umso wichtiger finde ich es, diese Kulturschätze zu erhalten und dazu beizutragen, die großen Denker unserer Zeit am Leben zu erhalten oder besser gesagt, ihnen mit einem Hörbuch wieder eine Stimme zu geben und sie so zum Leben zu erwecken. Damit ihre klugen Gedanken, ihre künstlerischen Werke nicht in Vergessenheit geraten.
Was nimmt die Hörerin, der Hörer mit, nachdem sie / er es gehört hat?
Am meisten interessieren mich die Lebenswege meiner Protagonisten. Die ganzen Kapriolen, die sie schlugen von “Himmel hoch jauchzend bis zu Tode betrübt“, denn alle Seiten gehören zum Leben dazu und machen es erst so facettenreich und aufregend.
Mir persönlich gibt es eine innere Ruhe, Gelassenheit und Kraft für mein eigenes Leben, zu sehen, wie sie die Höhen und Tiefen ihres Lebens meisterten und die Gewissheit, dass nach einem Schicksalsschlag auch wieder Glück auf einen hernieder rieselt. Nur wer beide Seiten kennt, weiß auch die andere Seite zu schätzen, beziehungsweise mit ihr umzugehen. Zu sehen, wie wir durch jede Erfahrung dazu lernen, uns aber dadurch auch verändern.
Deshalb, ganz egal, was das Schicksal gerade für uns bereithält, stürzen wir uns ins Leben, saugen jeden Tag leidenschaftlich in uns auf und „Leben wieder“. Ich wünsche allen viel Spaß beim Hören und bitte jeden Hörer, jede Hörerin mir eines zu versprechen: Leben Sie Ihr bestes Leben, denn wir haben nur eins, das so reich an Erlebnissen sein sollte, wie viele verschiedene!
Hörbuch-Tipp:
Sarah Kirsch und Christa Wolf – zwei Autorinnen von internationalem Rang sind von 1962 bis 1990, miteinander im Austausch: über das Schreiben, den Literaturbetrieb im Osten wie im Westen, über die Männer, die Kinder, die Arbeit im Garten und die politischen Systeme, in denen sie leben. Letztere sind es wohl, die diese Freundschaft an ein Ende bringen, nach vielen Jahren des vertrauensvollen Miteinanders. Streng und verspielt, heiter und verzweifelt, schnoddrig und ehrlich.
Christa Wolf, Sarah Kirsch, „Wir haben uns wirklich an allerhand gewöhnt“, Der Briefwechsel (Auswahl), von und mit Sandra Quadflieg und Iris Berben, Random House Audio, 2 CDs, ca. 150 Min., 20 Euro
Aufmacherfoto: © Anita Back