Die Sanierung der letzten Zierbastion beim Torhaus Wellingsbüttel gibt dem historischen Mittelpunkt des Stadtteils seinen alten Glanz zurück. Lesen Sie hier etwas über die Geschichte des Ensembles.
Wer beim Wellingsbütteler Torhaus spazieren geht, wundert sich vielleicht über drei balkonartige Bauwerke an den Hangflächen zur Alster, die an Bestandteile einer Festungsanlage erinnern. Doch die Bastionen in Wellingsbüttel hatten nie eine Verteidigungsfunktion, sondern sie sind historische Zieranlagen. Sie sind auch keine unbedeutenden Relikte der Gartenkunst des 18. Jahrhunderts am Wegesrand, sondern sie bilden zusammen mit dem Torhaus und dem Landschaftspark ein denkmalgeschütztes Gesamtensemble. Doch während das Torhaus vor Jahrzehnten saniert wurde, ließ die Stadt die drei Bastionen verfallen. Die Anlagen waren zugewachsen, das Bruchsteinmauerwerk marode. Schließlich waren die Bastionen einsturzgefährdet, so dass sie abgesperrt werden mussten.
Das endlich rief historisch interessierte Bürger auf den Plan, die mit Unterstützung Alstertaler Lokalpolitiker die Bezirksversammlung Wandsbek dazu bewegen konnten, die für eine Sanierung der Bastionen benötigten Mittel bereitzustellen. Der Abschluss der mehrjährigen Sanierungsarbeiten vor einigen Wochen gibt Anlass, auf das Werden und Wachsen Wellingsbüttels zurückzublicken, denn auch davon legen die Bastionen Zeugnis ab.
Mit seinen schmucken Villen auf traumhaften Grundstücken, gepflegten Wohnanlagen, dem Alstertal und viel Grün ist Wellingsbüttel einer der beliebtesten Stadtteile Hamburgs. Noch vor etwas mehr als 100 Jahren bestand Wellingsbüttel lediglich aus einem Gutshof und einer kleinen Landgemeinde. Es lag so abgeschieden, dass ein Ausflügler sich beklagte, „lang, endlos lang, eintönig und staubig“ sei die Landstraße von Ohlsdorf über Klein Borstel nach Wellingsbüttel. Doch wer dann „halbverschmachtet“ sein Ziel erreicht hatte, tauchte in eine Welt ein, die ihr Aussehen in den vorangegangenen Jahrhunderten nur wenig verändert hatte.
Die erste urkundliche Erwähnung Wellingsbüttels geht auf das Jahr 1296 zurück. Anfang des 15. Jahrhunderts gelangte die kleine Siedlung mit einem Gutshof und drei Bauernstellen in den Besitz der Bremer Erzbischöfe, die sie hauptsächlich an Hamburger Domherren verpfändeten. In der Zeit von 1542 bis 1572 wurde Wellingsbüttel als nicht vererbbarer Besitz an die Familie Kalenberg verlehnt, die an der Alster etwas unterhalb des heutigen Standortes des Herrenhauses ein „Lusthaus“ errichtete. Damit leiteten die Kalenbergs einen grundlegenden Wandel Wellingsbüttels vom reinen Bauerndorf zum Landsitz wohlhabender Hamburger Familien ein.
Nach den Kalenbergs hielt die Familie Heinrich von Rantzaus, Statthalter des dänischen Königs in Schleswig und Holstein, Wellingsbüttel für 50 Jahre in ihrem Besitz. Nach verschiedenen weiteren Belehnungen fiel Wellingsbüttel als erbliches Mannlehen an Dietrich Reinking, den Bremer Erzbischofskanzler. Mit dem den 30-jährigen Krieg beendenden Westfälischen Frieden gelangte Wellingsbüttel zusammen mit dem Erzbistum Bremen 1648 an Schweden. Auf Geheiß von Königin Christine wurde das Gut Reinking als Allodialgut übereignet, wodurch es ein freier, vererbbarer Besitz wurde, der keinem Lehnsherrn mehr unterstand. Unter Reinking, der als Pfalzgraf befugt war, direkt beim Kaiser Recht zu suchen, bekam Wellingsbüttel den Status eines reichsunmittelbaren Rittergutes, das keinen Richter mehr über sich hatte als den Kaiser selbst.
Im Jahre 1673 erwarb der kaiserliche Resident in Bremen, Reichsfreiherr Theobald von Kurtzrock, das reichsunmittelbare Gut für 7.000 Reichstaler. Seine Nachfahren setzten vor allem Handwerker als Erbpächter ein und bauten eine Windmühle, eine Brauerei und eine Kattunfabrik. Außerdem ließen sie Mitte des 18. Jahrhunderts an Stelle des einfachen Gutshauses das Herrenhaus und das Torhaus errichten. Nachdem zwischen der nun schon in der vierten Generation über Wellingsbüttel herrschenden Familie von Kurtzrock und der dänischen Krone in Folge der Thronentsagung des Kaisers Streitigkeiten über die Reichsunmittelbarkeit des Gutes ausgebrochen waren, befahl der dänische Kronprinz 1806 die Besetzung Wellingsbüttels. Schließlich gab der Gutsherr Clemens August von Kurtzrock nach und verkaufte Wellingsbüttel an König Friedrich VI. von Dänemark und Norwegen.
Dieser wiederum belehnte 1810 seinen Verwandten Herzog Friedrich Carl Ludwig von Schleswig-Holstein-Sonderburg-Beck mit dem Gut, einen preußischen, russischen und dänischen General und Vorfahren nahezu sämtlicher europäischer Monarchen des 20. Jahrhunderts. Unter seiner Gutsherrnschaft wurde Wellingsbüttel zum Kanzleigut erhoben, wodurch es direkt der königlich-dänischen Verwaltung unterstellt war. Doch trotz seiner Sonderrechte konnte der Herzog die wirtschaftlichen Folgen der vorangegangenen Kriegsnöte nicht überwinden. Insbesondere der „Russenwinter“ 1813 mit Plünderungen und Verwüstungen hatte seine Spuren hinterlassen. Wie ein gewöhnlicher bürgerlicher Schuldner musste der hochadelige Gutsherr Konkurs anmelden.
Nach seinem Tod 1816 kaufte der Hamburger Kaufmann Hercules Roß Wellingsbüttel für 12.000 Taler aus der Konkursmasse, wodurch es wieder in bürgerlichen Besitz gelangte und das Dorf als selbständige Gemeinde vom Gut getrennt wurde. Im Jahre 1846 ging das Gut im Wege einer Versteigerung auf Johann Christian Jauch über. Der neue Gutsherr entstammte einer großbürgerlichen Hamburger Kaufmannsfamilie, die kräftig in Wellingsbüttel investierte und dem Gut eine Blütezeit bescherte.
Doch im Gegensatz zu den wohlhabenden Jauchs lebten die verarmten Wellingsbütteler Bürger und Kleinbauern am Rande des Existenzminimums, so dass viele ihren Besitz an die Gutsherrn verkauften. Diese ließen die Gebäude auf den hinzuerworbenen Flächen abreißen, den Gutspark erweitern und in der Nähe des Herrenhauses einen Hirschpark anlegen. Die ohnehin wenig ertragreiche Landwirtschaft trat in den Hintergrund, und Wellingsbüttel entwickelte sich zum Schauplatz gesellschaftlicher Ereignisse, ausgedehnter Jagden und Landpartien der Hamburger. Das Wellingsbütteler Gehölz galt seinerzeit als „einer der schönsten und köstlichsten Wälder in Hamburgs Umgebung“, wie es in einem zeitgenössischen Reiseführer heißt.
Jauchs Erben verkauften das repräsentative Anwesen 1888 an die Hamburger Bankierswitwe Cäcilie Behrens, die aber schon drei Jahre später starb. Neuer Besitzer wurde der Hamburger Kaufmann und Konsul Otto Jonathan Hübbe. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts war er Herr über rund 65 Bedienstete, 26 Pferde, 180 Milchkühe und 30 Stück Jungvieh. Aber er war eben kein Landwirt, sondern ein Kaufmann, der seinen Besitz zu Geld machen wollte. Um das fast 500.000 Quadratmeter umfassende Gelände aufzuteilen, brachte er den Besitz 1912 in eine Siedlungsgesellschaft, die Alsterthal-Terrain-Actien-Gesellschaft (ATAG), ein. Mitgesellschafter waren die Herren der Nachbargüter Sasel und Poppenbüttel. Die ATAG parzellierte die landwirtschaftlichen Flächen für den Eigenheimbau, und die ersten Villen entstanden.
Das Herrenhaus und den Gutspark erwarb der Hamburger Kaufmann Friedrich Kirsten. Die großflächige Aufsiedelung Wellingsbüttels geriet jedoch durch den Ersten Weltkrieg ins Stocken, und die Gesellschaft musste 1918 Konkurs anmelden. Gleichwohl war die Verstädterung nicht mehr aufzuhalten. 1928 wurde das Dorf mit dem Gutsbezirk zu einer politischen Gemeinde vereinigt. Die Elektrifizierung der Vorortbahn nach Poppenbüttel und die Eingemeindung nach Hamburg 1937/38 förderten den Zuzug. Nach dem Zweiten Weltkrieg kamen viele Ausgebombte und Vertriebene sowie wohlhabende Familien, die im Grünen leben wollten, nach Wellingsbüttel. Die letzten landwirtschaftlichen Flächen verschwanden 1973. Heute ist der Stadtteil ein beliebter und auch teurer Villenvorort.
Die erhaltenen Gebäude des Gutshofes sind weit mehr als nur Zeugen der bewegten Geschichte Wellingsbüttels. Das Herrenhaus und das ihm vorgelagerte Torhaus sind das historische, kulturelle und architektonische Zentrum des heutigen Hamburger Stadtteils. Das Herrenhaus wurde 1750 im Auftrag des Maximilian von Kurtzrock, Minister des Niedersächsischen Kreises und Oberpostmeister zu Hamburg, als Barockbau mit Mittelrisalit und einem aufwändig ausgestatteten zentralen Saal errichtet. Der Name des Baumeisters ist nicht überliefert. In den Jahren 1888 bis 1890 ließ Cäcilie Behrens das Gebäude durch den Architekten Martin Haller, den Schöpfer des Hamburger Rathauses, umbauen und ihm durch die Aufstockung eines Geschosses seine heutige Gestalt geben. Dabei achtete Haller besonders darauf, die prunkvolle Rokokoausstattung und die aufwändige Stuckdecke im Mittelsaal zu erhalten. Auch dem Gutsgelände, auf dem sie einen Luxusstall, einen Taubenturm, einen Wasserturm und ein kleines Elektrizitätswerk errichtete, und dem Park, den sie verschönerte und mit steinernen Statuen dekorierte, verlieh Behrens ihre Handschrift. Nach dem Verkauf an Friedrich Kirsten wurde das Herrenhaus unterschiedlich genutzt und verfiel zunehmend.
1937 kam es in städtischen Besitz. Während des Krieges beherbergte es Kriegsgefangene und dann bis in die 50er Jahre Ausgebombte und Flüchtlinge. Ab 1964 war im Herrenhaus das Hansa-Kolleg untergebracht, Hamburgs einzige Ganztagsschule, an der Erwachsene auf dem Zweiten Bildungsweg das Abitur machen können. Neben dem Herrenhaus wurden ein Wohnheim und Unterrichtsgebäude errichtet. Im Jahre 1996 verfügte der Senat die Verlegung des Internatsgymnasiums nach Barmbek. Da sich die Suche nach einem Investor, der ein akzeptables Nutzungskonzept vorlegen konnte, als schwierig erwies, stand das unter Denkmalschutz stehende Herrenhaus mehrere Jahre leer, bis es endlich verkauft war. Anschließend wurde es grundlegend renoviert und erstrahlt heute in altem herrschaftlichen Glanz. Es beherbergt die Seniorenresidenz „Alsterdomizil“ und im Mittelsaal ein Café mit Gartenterrasse. Somit ist es wenigstens teilweise für die Öffentlichkeit zugänglich. An der Stelle der Wohn- und Schulgebäude wurden luxuriöse Mehrfamilienhäuser gebaut.
Das 1757 von dem späteren Hofbaumeister Georg Greggenhofer für die Familie von Kurtzrock als zweiflügeliger barocker Backsteinfachwerkbau errichtete Torhaus bildet bis heute das Entrée zum historischen Gutsgelände. Es diente ursprünglich als Pferdestall und Remise und zur Unterbringung des Gesindes. Über der Tordurchfahrt mit dem Uhrenturm wurde das Heu gelagert. Parallel zum Bau des Torhauses ließen die Kurtzrocks den Gutsgarten zum Landschaftspark umgestalten und dabei das aus drei Objekten bestehende Bastionsmauerwerk als Zieranlage und Aussichtspunkt zur Alster errichten.
Mit der Aufgabe der Gutswirtschaft vor dem Ersten Weltkrieg gab es keine Nutzung des Gebäudes mehr, so dass es lange leer stand. Auch das mittlerweile schon stark heruntergekommene Torhaus diente im Zweiten Weltkrieg für mehrere Jahre als Kriegsgefangenenlager und Notunterkunft, bis es auf Initiative des Bürgervereins durch Spenden Wellingsbütteler Bürger und mit finanzieller Hilfe der Stadt 1957 renoviert werden konnte.
Der linke Flügel des Torhauses beherbergt seitdem das Alstertal-Museum des 1900 gegründeten Alstervereins. Die Ausstellung zeigt Karten, Abbildungen und andere Objekte zur Vor- und Frühgeschichte, zur Oberalster-Lastschifffahrt, zur Geschichte Sasels und Wellingsbüttels und zur Verkehrsentwicklung. Ein besonderes Exponat ist die einzige Kopie des Lehnsbriefes für den Herzog von Holstein-Beck aus dem Jahre 1810, die mit einer Ausnahmegenehmigung des dänischen Königshauses gezeigt werden darf.
Im rechten Flügel des Torgebäudes hat der Kulturkreis Torhaus des Bürgervereins Wellingsbüttel seinen Sitz. Er macht das historische Gebäudeensemble zum kulturellen Treffpunkt Wellingsbüttels. Der Bürgerverein hat sich gegenüber der Stadt Hamburg verpflichtet, den von ihm genutzten Gebäudeteil auf eigene Kosten und in Absprache mit dem Denkmalschutzamt zu erhalten und das Haus mit kulturellem Leben zu erfüllen. Dazu gehören Konzerte, Kleinkunstabende, Jazz-Sessions, Dichter- und Autorenlesungen, Filmvorführungen, Seminare, Vorträge und Ausstellungen vorwiegend mit den Werken lokaler Künstler. So ist aus dem ehemaligen Pferdestall und „Leutehaus“ ein lebendiges Kulturzentrum geworden, das Besucher aus der ganzen Umgebung anzieht.
In deutlichem Kontrast zu den wiederhergestellten Gebäuden standen lange die sich selbst überlassenen Bastionen. Um „die Wertigkeit des historischen Gesamtensembles mit dem Torhaus wiederherherzustellen und nutzbar zu machen“, so die politische Begründung für die Bereitstellung der Mittel, wurden vor einigen Jahren zunächst die beiden dem Torhaus gegenüberliegenden Bauwerke aufwendig instandgesetzt. Dazu mussten zunächst die in die Mauern eingewachsenen Sträucher entfernt und die gelösten Steine geborgen und nummeriert werden. Anschließend wurde das Bruchsteinmauerwerk freigelegt, gesichert und gereinigt. Danach erfolgten der Wiederaufbau des Mauerwerks und die Herstellung des gerundeten Bastionskopfes nach historischem Vorbild. Im letzten Sanierungsabschnitt erhielten die Bastionen neue Geländer und einen Grandboden. Mit dem Abschluss der Arbeiten an der letzten Bastion stehen den Spaziergängern nun wieder drei historische Aussichtspunkte in das Alstertal zur Verfügung – ganz so, wie es sich die Kurtzrocks vor 264 Jahren gedacht haben. Text und Fotos Jan Heitmann, Historiker und Journalist