„DER HSV LAG AM BODEN!“

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Der Hamburger SV ist ein Universal-Sportverein mit über 30 Abteilungen, über 100 Jahre alt und durch die Fußball-Bundesliga weltbekannt. Leider hat sich der Verein seit Jahrzehnten negativ entwickelt. Mit dem Ergebnis, dass der früher in ganz Europa erfolgreiche Club nun in der 2. Liga spielt. Dafür gibt es Gründe. Darüber hat haben wir mit Jürgen Hunke gesprochen, um die Hintergründe aus seiner Sicht zu erklären.

JÜRGEN HUNKE selbst war im HSV über 30 Jahre in verschiedenen Positionen aktiv: Präsident, Aufsichtsratsmitglied, Vorsitzender der HSV-AG u.a. Viele Fußballfreunde haben den Wunsch zu erfahren, was die wirklichen Gründe für den Niedergang sind. In mehreren Folgen wird Jürgen Hunke erklären, wie es so weit kommen konnte und vor allem beschreiben, an welchen Stellschrauben man drehen muss, um eine Verbesserung der Gesamtsituation zu erzielen.

Herr Hunke, der HSV verkümmerte vom stolzen europäischen Spitzen-Club zu einem Mitläufer in der 2. Liga. Wo liegen die Wurzeln für dieses Übel?
Als ich vor ca. 30 Jahren Präsident des HSV wurde, lag der Club finanziell in Schutt und Asche. Man ist damals von Vereinsseite an mich herangetreten mit der Frage, ob ich mir zutraue, den Club zu sanieren. Leider waren die wirklich Verantwortlichen für die Misere allesamt weggelaufen, und es gab keine Antworten dazu, wie der riesige Schuldenberg entstanden war.

Um Präsident zu werden, bedarf es einer demokratischen Wahl.
Ja, und es entwickelte sich damals ein außergewöhnlicher Kampf um das Präsidentenamt. Dank der Unterstützung besonders durch die Fans und die Sporttreibenden erhielt ich hervorragende, die entscheidende Unterstützung.

Das Amt ist ehrenvoll und verbirgt im Detail manche Last…
…zum Glück lag das HSV-Büro nur 100 Meter von meiner Wohnung entfernt. Deshalb konnte ich schon früh morgens mit meinem Ehrenamt beginnen. Aber nach der ersten Bestandsaufnahme gab es eigentlich keine Hoffnung, da die Banken jegliche Unterstützung ablehnten – eine ähnliche Situation wie heute.

An welcher Stellschraube dreht man dann?
Ich habe mich erstmal richtig unbeliebt gemacht, indem ich alle 3000 Ehrenkarten gestrichen habe, bis auf die von Uwe Seeler und den Behinderten.

Shitstorm würde man heute die Reaktionen nennen.
Ich hatte auf einen Schlag 3000 Feinde in Hamburg. Aber keiner konnte mir auf die Frage in meinen Brief, was der Grund für ein Anrecht auf die Dauerkarte sei, eine plausible Antwort geben. Es sind bösartige Kommentare gefallen – aber die Einnahmesteigerung für den HSV lag bei einer Million.

Das war natürlich nur ein erster Schritt?
Die nächste harte Entscheidung war, die Leistungsabteilung Eishockey und die Profi-Abteilung Volleyball zu schließen. Einsparung: zwei Millionen. Mit meinem Gütersloher Freund Heribert Bruchhagen haben wir alle notwendigen Sanierungsarbeiten vorangetrieben, und zwar unter dem Grundsatz: Gib nie mehr aus als du einnimmst! Wir haben zudem Spieler günstig eingekauft. Ein Beispiel dafür war Markus Babbel, der für 50 000 vom FC Bayern kam. Ich muss gestehen, der damalige Manager Uli Hoeneß hat mir da sehr geholfen.

Sanierer stehen auf der Beliebtheitsskala selten oben…
Wir haben alle Vermarktungsverträge neu verhandelt, um Mehreinahmen zu erreichen. Mein Image bei den handelnden Personen wurde immer schwieriger, da ich leider konsequent sein musste, um Einnahmen und Ausgaben ins Lot zu bringen.

Auf dem Rasen hilft manchmal ein Sonntagsschuss…

Ja, wir hatten das Glück, dass uns ein außergewöhnlicher Transfer gelang: Thomas Doll nach Rom. Eine ganze Woche habe ich in Rom verbracht und verhandelt. Sechs Millionen wollten die Römer zahlen, am Ende waren es 18 Millionen. Mit der Netto-Einnahme konnte ich die Gesamtschulden des HSV bei den Banken beglichen.

Und Sie waren fortan nicht mehr der ungeliebte Aufräumer?
Die sportliche Situation hat sich ja nicht verschlechtert. Und trotz vieler harter Maßnahmen wurde ich mit 99 Prozent der Stimmen als Präsident wiedergewählt. Denn wir hatten auch wichtige Strukturverbesserungen vorgenommen. Die Supporters wurden gegründet und die Förderer, damit der Verein auch in dem Bereich eine organisierte Struktur bekam. Leider haben wir in der Zeit unseren Platz am Rothenbaum verloren, für den wir einen Pachtvertrag mit einer Kündigung von gerade mal drei Monaten hatten. Ein Ding der Unmöglichkeit.

Mit dem Verlust des Platzes ging auch ein Herzstück des HSV verloren?
Im Grunde hätte die Stadt dem HSV das Grundstück als Belohnung für seine Erfolge schenken müssen. Um eine außerordentlich positive Darstellung der Stadt in der Welt durch den Verein zu honorieren. Das hätte uns heute einen Mehrwert von 200 Millionen beschert. Die falsche Entscheidung hat sich über alle Jahre ausgewirkt.

Woran ist der Vorgang seinerzeit gescheitert?
Weil damals Personen aus dem HSV im Hintergrund die Absicht forcierten, das Gelände in Bauland umzuwandeln. Was leider ja passiert ist. Siehe auch meinen Bericht über Korruption im „Alster-Magazin“. Eine große Idee liegt leider unter Beton begraben.

Als erfolgreicher Sanierer hätten sie noch über Jahre Präsident bleiben können…
Ich habe allen Aufforderungen und Bitten weiterzumachen, widerstanden, da ich mir dieses Ehrenamt zeitlich nicht mehr erlauben konnte. Ich war froh, dem Verein in tausenden von Stunden als ehrenamtlicher Helfer eine hervorragende Basis für eine erfolgreiche Zukunft geschaffen zu haben. Und ich bin stolz, dass ich von dem Verein in all den Jahren nicht eine einzige Briefmarke genommen habe.
Mit Jürgen Hunke sprach Wolfgang Golz

Dieser Beitrag läuft unter der Rubrik “GUTEN-MORGEN-HAMBURG”. Unter diesem Motto weckt Jürgen Hunke (77) fortan unsere Stadt. Seit fast vier Jahrzehnten arbeitet der gebürtige Gütersloher in Hamburg. Der Familienvater machte sich als selbstständiger Unternehmer, Inhaber der Kammerspiele, HSV-Präsident, Verlagskaufmann und Galerist einen Namen.

Foto: © Anna-Lena Ehlers Photography