Jahrelang wurde geplant, jetzt wird der Saseler Markt neu gestaltet. Politik und Verwaltung begründen das rund 4,4 Millionen Euro teure Vorhaben auch damit, dass sich die Ortsmitte Sasels „ohne historische Strukturen und Qualitäten“ präsentiere. Das klingt wie Hohn, denn niemand anders als Politik und Verwaltung tragen die Schuld daran, dass dem so ist.
Es ist nämlich noch gar nicht so lange her, dass es am Saseler Markt zahlreiche bauliche Zeugnisse der Ortsgeschichte gab. Denn im Gegensatz zu den meisten Nachbardörfern, die seit dem 16. Jahrhundert unter Gutsherrschaft kamen, blieb Sasel bis ins 19. Jahrhundert ein Bauerndorf. Die Wandlung vom Dorf zum Wohnstadtteil begann hier erst nach dem Ersten Weltkrieg.
Seit 1830 war aus einer der Vollhufen durch Landzukauf ein 330 Hektar großes Gut, der Saselhof, entstanden. Auf dem Saselhof betrieb der Gutsherr Konrad Reuter seit 1897 Viehhaltung. Nachdem der Gutshof 1904 größtenteils abgebrannt war, ging Reuter unverdrossen an den Wiederaufbau, wobei er die modernsten und fortschrittlichsten Methoden der Vieh- und Milchwirtschaft anwandte.
Doch kaum, dass er sein für die damalige Zeit fast schon visionär zu nennendes Werk vollendet hatte, stellte er den Gutsbetrieb ein und ging in die Politik. Außerdem beteiligte er sich an der Alsterthal-Terrain-Gesellschaft, die die Umwandlung der landwirtschaftlichen Flächen des Alstertals in Siedlungsgebiete betrieb. Einer der größten Anhänger des Siedlungsgedankens war der Bauernsohn Julius Gilcher. Um der Bodenspekulation in Sasel zuvorzukommen, gründete er 1918 den Eigenheim-Siedlungssparverein e.V. und bemühte sich um den Kauf landwirtschaftlicher Flächen.
Im Sommer 1919 bot ihm Konrad Reuter sein Gut zum Kauf an und der Saselhof wechselte für 1,3 Millionen Mark den Besitzer. Die Aussicht, zu günstigen Konditionen auf dem eigenen Stückchen Erde einer verheißungsvollen Zukunft entgegensehen zu können, zog immer mehr Menschen ins Alstertal. So wurde Sasel zum größten geschlossenen Siedlungsgebiet im Großraum Hamburg.
Zur Sicherstellung der Nahversorgung begann in den 1920er Jahren am Rand des Dorfangers, des heutigen Saseler Marktes, der Bau von Wohn- und Geschäftshäusern. Hier kauften die Saseler ihre Lebensmittel, Haushaltsgegenstände und andere Dinge des täglichen Bedarfs.
Seiner wachsenden Bedeutung als aufstrebender Gemeinde entsprechend, erhielt Sasel 1927 ein repräsentatives Rathaus mit Uhrenturm und Glockenspiel. Außerdem wurden ein Postamt, eine Wache für die 1883 gegründete Freiwillige Feuerwehr und später, als sich immer mehr Saseler ein Automobil leisten konnten, eine Tankstelle gebaut. Zur „Körperertüchtigung“ der Saseler wurden Anfang der 1930er Jahre im ehemaligen Kuhstall des Saselhofes eine Turnhalle eingerichtet, daneben ein Sportplatz angelegt und an der Saselbek eine Flussbadeanstalt gebaut. Da immer mehr Kinder unterrichtet werden mussten, wurde das 1893 in der Kunaustraße errichtete Schulgebäude umgebaut und im Laufe der Jahre kontinuierlich erweitert.
Durch das Groß-Hamburg-Gesetz von 1937/38 wurde Sasel zu einem Hamburger Stadtteil eingemeindet und verlor damit seine Selbständigkeit als preußische Gemeinde. Zu dieser Zeit lebten hier bereits 5.800 Einwohner.Die anhaltende Stadtflucht ließ Sasel in den folgenden Jahrzehnten zu einem bevorzugten Wohngebiet werden, so dass die Grundstücks- und Immobilienpreise unaufhaltsam stiegen. Dies führte teilweise zur rücksichtslosen Beseitigung gewachsener Strukturen. Noch vor 50 Jahren bot der Saseler Markt ein geradezu idyllisches Bild. In dem auf das frühe 19. Jahrhundert zurückgehenden und zu Beginn des 19. Jahrhunderts umgebauten Herrenhaus im ehemaligen Gutspark war eine Kindertagesstätte untergebracht, die im Jahr 1973 sogar Schauplatz einer Fernsehserie mit Inge Meysel in der Hauptrolle war. Daneben standen noch mehrere ehemalige Wirtschaftsgebäude des Gutes, so der nach dem Brand 1908 neu aufgebaute Kuhstall, in dem die erwähnte Turnhalle und die Parkschule untergebracht waren. Das markanteste Gutsgebäude war das 1891 erbaute und 1908 brandsanierte Torhaus mit Glockenturm und Turmuhr, das sich fast die ganze Ostseite des Saseler Parkwegs entlangzog. Daneben, mit Zufahrt von der Stadtbahnstraße, war noch die Aral-Tankstelle in Betrieb.
Gegenüber vom Torhaus war der Dorfteich. Daran schlossen sich zum Stratenbarg hin seit Jahrhunderten mehrere reetgedeckte Fachwerkhäuser an, die von den kleinen Hufnerstellen übriggeblieben waren. Rechts davon, jenseits des Stratenbargs, erhob sich die 1962 fertiggestellte Vizelinkirche, in deren Schatten noch jahrhunderealte Kirchenkaten standen. Das Zentrum des Saseler Markts bildete das einst prachtvolle Rathaus. Seit einem Brandbombentreffer 1943 mit einem flachen Notdach versehen, beherbergte es nach verschiedenen Zwischennutzungen jahrzehntelang die Öffentliche Bücherhalle.
Dieser fast noch dörflichen Idylle setzten von Beginn der 1970er Jahre an die Profitgier und die Sucht, unbedingt Neues entstehen zu lassen, ein Ende. Innerhalb weniger Jahre verschwanden das Torhaus des Saselhofes, dessen Nebengebäude, die Kirchenkaten, die strohgedeckten Wohnhäuser, die Tankstelle, das Feuerwehrhaus zwischen Schule und Post und der Dorfteich. An ihrer Stelle entstanden gesichtslose Gebäude, die Wohn- und Geschäftszwecken dienen.
Die Eröffnung des Alstertal Einkaufszentrums in Poppenbüttel im Jahre 1972 und die Verlängerung des Ring 3 nach Sasel führten zu einem erhöhten Verkehrsaufkommen und zerschnitten das Saseler Ortszentrum. Zudem wurden viele Straßen verbreitert und Kreuzungen ausgebaut, wodurch weitere Zeugnisse aus Sasels Vergangenheit wie der traditionsreiche Gasthof „Saseler Park“ an der Ecke Saseler Chaussee/Stadtbahnstraße verschwanden.
Einzig die den Marktplatz an drei Seiten säumenden Backsteingebäude und einzelne einst zum Saselhof gehörende Gebäude entgingen der Abrisswut. So beherbergt das vor einigen Jahren umgebaute und wesentlich erweiterte Herrenhaus noch immer eine Kindertagesstätte, und im Kuhstall sind das Stadtteilkulturzentrum „Sasel Haus“ und eine weitere Kindertagesstätte untergebracht. Das mittlerweile in seiner ursprünglichen Form wieder hergestellte, aber stark verbaute Rathaus dient heute als Restaurant.
Auch wenn sich Politik und Verwaltung jetzt darum bemühen mögen, das historische Zentrum Sasels attraktiver zu gestalten, können sie ihre Sünden der Vergangenheit nicht ungeschehen machen. Die von ihnen vor Jahrzehnten zerstörten und heute so schmerzlich vermissten historischen Strukturen sind unwiederbringlich verloren. Jan Heitmann, Historiker
Alle historischen Fotos: © Aus dem Buch “Sasel – Ein Stadtteil hat Geschichte”, Angelika Rosenfeld, Wolfgang E. Buss Verlag (vergriffen), alle aktuellen Fotos: © Jan Heitmann