Es war umstritten, wurde verschoben, dann aber doch durchgeführt: das Pilotprojekt “Flaniermeile Volksdorf”. Zu den gerade vorgestellten Ergebnissen der Evaluation lesen Sie hier die Einschätzungen des Verbandes der Mittel- und Großbetriebe des Einzelhandels Nord e.V. und der FDP-Fraktion Wandsbek.
Volker Tschirch, Vorsitzender des Einzelhandelsverbandes VMG Nord: “Diese lang erwarteten Ergebnisse enttäuschen uns auf mehreren Ebenen. Für diesen Verkehrsversuch und die Auswertung sind viel Geld und personelle Kapazitäten investiert worden, die sinnvoller hätten eingesetzt werden müssen. Erhebliche Ressourcen sind bei der Verwaltung und durch das Engagement einer teuren Agentur für den Verkehrsversuch verschleudert worden. So wurde eine immense Summe von mehr als 300.000 Euro für ein Verfahren ausgegeben, bei dem im Kern der Wegfall von rund 70 Parkplätzen getestet wurde. Das war völlig unnötig. Die wesentlichen Informationen darüber, wie der Volksdorfer Ortskern für die Zukunft entwickelt werden muss, haben die Geschäftstreibenden schon vorher völlig kostenfrei zur Verfügung gestellt. Es wäre besser gewesen, wenn der Bezirk die Vorschläge gemeinsam mit den Betroffenen weiter ausgearbeitet und das Geld dann für die Umsetzung eingesetzt hätte. Die Ergebnisse der bezirklichen Evaluation bestätigen nun das Scheitern des Verkehrsversuchs auf ganzer Linie. Das Kernanliegen, nämlich die Aufenthaltsqualität zu steigern, ist weit verfehlt worden. Anwohner, Kunden und Gewerbetreibende haben gleichermaßen eine Verschlechterung der Aufenthaltsqualität durch den Versuch wahrgenommen. Doch die Kaufleute im Ortskern wollen nicht weiter zurückblicken. Wichtig ist, dass die Fehler, die zu diesem Scheitern geführt haben, nun nicht wiederholt werden. Die betroffenen Gewerbe müssen künftig vollständig und angemessen in die nötigen Veränderungsprozesse eingebunden werden, denn sie kennen die Lage vor Ort am besten. Dafür stehen sie weiter bereit und werden auch in Zukunft konstruktiv an Lösungen mitarbeiten.”
Der VMG Nord hatte bereits im Juli 2022 während des Verkehrsversuches die Ergebnisse einer Evaluation unter den Geschäftstreibenden im Ortskern veröffentlicht. Demnach gaben 77 Prozent der Händlerinnen und Händler im Ortskern an, einen starken oder spürbaren Rückgang an Kunden verzeichnet zu haben. Ebenfalls 77 Prozent gaben an, dass ihre Kundinnen und Kunden den Versuch überwiegend negativ bewerteten. Durch die Kundenrückgänge mussten die Händlerinnen und Händler Umsatzeinbußen im Ausmaß von 15 bis 35 Prozent verkraften. Die Geschäftsleute zeigten auf, dass das Ziel des Versuchs, die Aufenthaltsqualität des Ortskerns zu steigern, verfehlt worden sei. So gaben 68 Prozent der Befragten an, dass die Entfernung der Parkplätze, die Straßenverengung sowie das Aufstellen von provisorischen Blumenkübeln und Sitzgelegenheiten zu keiner Attraktivitätssteigerung geführt hätten. Auch der Lieferverkehr hatte in Teilen gelitten: 22 Prozent gaben an, dass sich die Liefersituation während des Versuchs verschlechtert habe. Vor allem die allgemeine Erreichbarkeit der Geschäfte war stark beeinträchtigt. Der ansässige Handel bewertete die Erreichbarkeit vor Versuchsbeginn zu 69 Prozent positiv. Während des Versuchs war diese Einschätzung auf nur noch 15 Prozent gesunken, während 75 Prozent der Befragten angaben, dass die Erreichbarkeit weniger gut oder schlecht gewesen sei.
Händlerinnen und Händler haben zusammen mit dem VMG Nord im Vorfeld des Verkehrsversuch 13 konkrete Vorschläge entwickelt, um die Attraktivität des Ortszentrums zu steigern:
- Parkplätze maßvoll reduzieren und mindestens 50 % der Parkplätze in den Straßen Im alten Dorfe sowie Claus-Ferck-Straße erhalten
- Ausgleichsflächen außerhalb des Ortskerns für wegfallende Parkfläche schaffen
- Ladestationen für E-Mobilität einrichten
- Kurzeitparken statt Dauerparken
- Integrierte Lieferzonen für Lkw und Lastenräder einrichten
- Freien Platz für Gehwegverbreiterung und Möblierung nutzen
- Reduzierung der Verkehrsschilder auf das Nötigste
- Attraktivitätssteigerung durch ebene Flächen und Barrierefreiheit (Straßen und Gehwege)
- Stärkere Begrünung des Ortskerns und regelmäßige Pflege
- Modernes Lichtkonzept
- Hochwertige Möblierung statt Provisorien
- Kinderspielplatz mit Wasserspiel
- Ausschöpfung aller Mobilitätspotenziale durch übergreifendes Verkehrskonzept
Im Einzelhandelsverband VMG Nord sind große und mittlere Fachgeschäfte sowie Filialunternehmen in den fünf Küstenländern organisiert. Diese personalintensiven Unternehmen gehören zu den klassischen Betriebsformen des Einzelhandels, die mit ihren erlebnisorientierten Verkaufskonzepten und Investitionen in Geschäftsimmobilien die Attraktivität der Innenstädte im Norden fördern. Volksdorfer Geschäftsleute haben den VMG um Unterstützung in Sachen Flaniermeile gebeten.
FDP-Fraktion Wandsbek: “Evaluation bestätigt kompletten Misserfolg – Steuergelder sinnvoller einsetzen!” Zuerst erfuhren es die Kommunalpolitiker im Regionalausschuss Walddörfer, dann wenige Tage später die Teilnehmer der öffentlichen Abschlussveranstaltung zum Pilotprojekt „Flaniermeile Volksdorf“ am 5.12.2022: „Das Projekt ist auf ganzer Länge gescheitert“, beurteilt Finn Ole Ritter, Regionalsprecher Walddörfer der FDP-Fraktion Wandsbek und deren stellvertretender Vorsitzender, das Ergebnis der Präsentation. „Schon vor dem Start war absehbar, dass es nicht gelingen kann, gegen die Bevölkerung etwas durchzukämpfen, zumal der Widerstand schon sehr früh einsetzte und deutlich machte, dass Volksdorf kein Flaniermeile-Projekt wünscht und braucht.“
Was schon vor, während des Projektes und im direkten Anschluss an Kritik aufkam, nicht zuletzt intensiv auch seitens der bezirklichen FDP-Fraktion nach mehrfachen Bürgergesprächen vor Ort, ist nunmehr durch die „sogenannte Evaluation“ bestätigt: „Zuerst einmal muss man die Evaluation selbst skeptisch betrachten: Das mit der Datenanalyse beauftragte Unternehmen hat im November 2020 Vergleichszahlen zur Verkehrsentwicklung erhoben und beim Bericht über die Erhebungen bestätigt, dass dieser Zeitraum vom Auftraggeber, also der Politik, gewünscht und keineswegs eine Entscheidung des Unternehmens war“, berichtet Ritter, „sinngemäß wurde auf Nachfrage angedeutet, dass dies keine wirklich zufriedenstellende Ausgangslage für eine in mehrere Hunderttausende gehende Investition von Steuergeldern wäre.“ Es sei durchaus irritierend, so Ritter weiter, dass am Ende des „verkehrspolitischen Blindflugs“ im Hochsommer für die Auswertung ein Wintermonat als Vergleichsgrundlage herangezogen wurde.
Deutlich geworden sei bei der Ergebnispräsentation zudem, dass die ablehnende Haltung der Bevölkerung keine Spekulation frühzeitiger Kritiker, sondern Realität war und ist: Bei der Bewertung der Flaniermeile waren 50 % der Anwohner gegen das Projekt (40 % dafür), das Gewerbe gab mit 75 % Nein-Stimmen zu 16 % Ja-Stimmen sogar eine geradezu vernichtende Erfahrung wieder und belegte dies mit wirtschaftlichen Folgen: 35 % der befragten Geschäftsleute berichteten, dass die Kundenfrequenz sogar „deutlich“ gesunden war, und 38 % erlebten einen „deutlich gesunkenen“ Umsatz. Ritter: „Dabei hätten eigentlich viel positivere Ergebnisse herauskommen sollen, denn die Befragung wurde bei allerbestem Wetter durchgeführt: Es war sonnig, trocken und zwischen 20 und 25 Grad höchst angenehm – eigentlich beste Voraussetzungen für viel Zustimmung!“ Die FDP-Fraktion Wandsbek stehe, so Ritter, für sinnhafte Ideen für eine Attraktivitätssteigerung des Dorfkerns Volksdorf weiter konstruktiv zur Verfügung, „aber nur, wenn diese von Anfang an den Interessen aller in Volksdorf lebenden, arbeitenden und einkaufenden Bürgerinnen und Bürgern dient!“ Um entsprechende Wünsche und Anforderungen herauszufinden, sei die extrem geringe Anzahl der bei der aktuellen Evaluation Befragten bei einem Einwohner- und Einzugsgebiet von insgesamt geschätzt 30.000 bis 40.000 Personen „eher unterirdisch“, um darauf Planungen für einen so wichtigen wirtschaftlichen Ortskern wie den in Volksdorf vornehmen zu wollen.
Neben der grundsätzlichen Kritik, dass das Projekt in Volksdorf nicht gebraucht und auch nicht sinnhaft und schon gar nicht von der Mehrheit der Bevölkerung und Gewerbetreibenden gewünscht war und ist, gibt es einen weiteren Aspekt, den Birgit Wolff, Vorsitzende der Wandsbeker FDP-Fraktion, sehr deutlich macht: „Wir fordern einen sofortigen Stopp aller weiteren Überlegungen und Maßnahmen zu diesem Luxus-Projekt! Grund: Es sind bereits jetzt schon einige hunderttausend Euro an Steuergeldern dafür in den Wind geschossen worden – dabei haben wir in unserm Bezirk soziale Aufgaben zu bewältigen und zu lösen, für die jeder einzelne dieser Euros notwendiger gewesen wäre. Steuergelder sollten den Bürgern dienen, nicht der Verwirklichung von politischen Ideologie-Projekten!“
Aufmacherfoto: © FDP-Fraktion Wandsbek